Pauline.

Eine heitere Geschichte von Paul Bliß.
in: „Dresdner neueste Nachrichten” vom 29.05.1921


„Ja, was ist denn das?” fragte Herr Balduin Knipser, als er in der Küche eine Pappschachtel entdeckte.

Seine Frau war mit der Köchin im Städtchen einkaufen und da stöberte der neugierige Alte im Hause herum. Erstaunt hob er den Deckel auf. In friedlicher Eintracht lagen da beieinander: Wurst, kalter Braten, eine Büchse mit Butter und ein Päckchen Zigarren.

„Das ist doch der Gipfel der Frechheit!” polterte er los. „So eine schamlose Person!”

Natürlich schickte Pauline ihrem Liebsten in Berlin wieder ein Paket! Wütend warf er alles durcheinander, denn natürlich hatte sie das von der Wirtschaft abgeknapst: Und dann die Zigarren, seine Marke! Das war doch mehr als schamlos!

Bald darauf kam seine Frau und gleich danach auch die Pauline. Und dann ging das Unwetter los.

Aber Pauline blieb kaltblütig. Lächelnd ließ sie alle Zornesausbrüche des Alten über sich ergehen, und erst, als er sich heiser geschrien hatte, begann sie sich zu rechtfertigen.

„Ich will Ihnen mal was sagen, Herr Knipser. Sie sollten sich schämen, um die paar Sachen so'n Alarm zu schlagen. Sie haben doch bis jetzt noch nicht gehungert, sollt' ich meinen. Und die Sachen, die ich da meinem Willi schicke, die habe ich mir vom Munde abgespart. Sie sollten wirklich nicht so'n Krach machen um die paar Happen.”

„Paar Happen? Jede Woche geht solche Kiste ab! Sogar meine Zigarren plündern Sie jetzt schon!”

Pauline lächelte. „Wieso Ihre Zigarren? Weil es dieselbe Marke ist, die Sie rauchen? Kann ich die denn nicht bei Ihrem Lieferanten auch kaufen?”

Herr Balduin zitterte vor Aerger. Oh, daß er seine Zigarren nicht gezählt hatte! Sonst könnte er es ihr schon beweisen.

„Na, kurz und gut, ich verbitte mir, daß Sie aus meinen Vorräten Ihre Pakete zusammenstellen! Entweder das hört auf oder Sie können gehen!”

Pauline lächelte wieder. „Nee, Herr Knipser, das hört nicht auf, mein Willi kriegt seine Pakete weiter.”

„Dann gehen Sie eben!”

„Aber gewiß, dann gehe ich! Und zwar sofort!”

Wütend knallte Herr Balduin die Tür zu und etwas kleinlaut folgte ihm seine Frau.

„Du hättest ihr doch nicht gleich kündigen sollen,” sagte sie.

„Ach, ich soll mich wohl endlos bestehlen lassen, wie?”

„Ein so tüchtiges Mädel bekommen wir aber sobald nicht wieder.”

Da rannte er in sein Zimmer und wollte nichts mehr hören.

Und Pauline ging. Aber sie drohte, als sie lächelnd abzog.

Herr Balduin Knipser lief erregt im Zimmer umher. Erst nach und nach beruhigte ihn seine Frau. Doch kaum war dieser Groll ein wenig beschwichtigt, da harrte des armen Mannes schon wieder eine neue Aufregung.

Es meldete sich Logierbesuch an. Ein Vetter mit seiner Frau wollte acht Tage zur Erholung kommen.

Zur Erholung! Ausgerechnet zu ihm. Bei diesen teuren Zeiten! Doch wieder gelang es der ruhigen Gattin, den Sturm zu beschwichtigen.

Alsö kam der Besuch. Mit Lächeln wurde er empfangen und aufs freundlichste bewirtet.

Heimlich aber rechnete Herr Balduin allabendlich mit Entsetzen aus, wie kostspielig dieser Besuch wurde. Ein kleines Kapital ging drauf. Doch auch diese acht Tage nahmen ein Ende und mit bestem Dank verabschiedete sich das Paar.

„Es war herrlich! Ich werde mich bald für eure Freundlichkeit revanchieren,” empfahl sich der Vetter.

Herr Balduin sagte zwar verbindlichst: „O bitte, durchaus keine Ursache!” Innerlich aber sagte er: „Was du dich schon revanchieren wirst!”

Und Herr Balduin war mit seiner Gattin wieder allein, hatte Zeit, nun alle Unkosten erst genau zu berechnen, und seine Laune wurde dabei nicht besser.

Acht Tage später brachte die Post ein Paket. Erstaunt öffnete es Herr Balduin, und es fanden sich vier halbe Kistchen Zigarren darin; kein Brief, keine Karte.

„Verstehst du das?” fragte er seine Frau.

„Was ist dabei viel zu verstehen? Der Vetter revanchiert sich eben, viel ist es ja nicht, aber man sieht doch den guten Willen.”

„Aber warum schreibt der Mensch kein Wort dazu?”

„Man wird in dem Geschäft, wo er gekauft hat, vergessen haben, den Brief beizulegen.”

Er gab ihr recht, und er freute sich, denn die Zigarren waren prima. Ach, die sollten ihm mal schmecken!

Da sagte seine Frau: „Das trifft sich prächtig. Nun brauchst du ja keine Zigarren zu kaufen, wenn du nächste Woche die alten Herren vom Verein zu deinem Geburtstag einladest.”

Er nickte, aber zu sich selber sagte er: „Das sollte mir einfallen! Ich werde meine feinen Zigarren geben! So dumm!”

Und ohne Wissen der Frau kaufte er billige Zigarren. Und zu Hause machte er sich heimlich dabei, zug behutsam die Leibbinden von den Importen ab und steckte sie den billigen Zigarren auf, die echten aber verschloß er im Schrank.

Schmunzelnd freute er sich seiner Tat.

Und auch dies Fest ging vorüber.

Genau wie Herr Balduin es voraussah, war es gekommen. Die Vereinsbrüder qualmten und pafften, bis alle Stuben blau waren. Als das Fest zu Ende war, standen leere Kisten da.

Herr Balduin Knipser lächelte und freute sich seiner Fürsorge.

Als alle Gäste fort waren, sagte der Hausherr bedauernd: „Meine schönen Zigarren!”

Da kam seine Frau und tröstete ihn: „Na, laß nur Männe, diesmal kommst du noch mit einem blauen Auge davon. Ich habe ein bischen Vorsehung gespielt.”

Verständnislos sah er sie an.

Sie aber lächelte. „Ich fand nämlich in dem verschlossenen Schrank Zigarren von deiner billigen Sorte, an die du wohl gar nicht mehr gedacht hast. Da bin ich hergegangen, habe die Leibbinden von den ersten abgenommen und habe sie recht behutsam diesen billigen aufgesteckt! Siehst du, Männe, so habe ich dir deine echten gerettet; denn ich sagte mir, für diese Gäste sind die billigen ja auch gut genug! Na, war das nicht schlau?”

Herr Balduin rang nach Luft.

„Was hast du denn, Männe?” rief sie erschrocken, als sie ihn so dasitzen sah.

„Was ich habe? Nichts habe ich!” schrie er. „Ich hatte vier Kisten Importen. Und jetzt habe ich vier Kisten Stinkadores! Das glaube ich wohl, daß die Zigarren den Kerlen geschmeckt haben!”

Noch immer begriff die Frau nichts. Da aber er klärte der betrogene Geizhals ihr, was sie getan hatte.

Und nun rief sie:„Siehst du, das kommt von deinen Heimlichkeiten! Hättest du mir die Wahrheit gesagt, wäre so etwas nicht geschehen!”

Doch geschehene Dinge sind nicht mehr zu ändern, und so beruhigte sich auch Herr Balduin nach und nach.

Aber kaum war der unangenehme Vorfall vergessen, als ein neues Ereignis ihn schnell wieder lebendig werden ließ.

Von Berlin kam nämlich ein Brief, und darin stand, daß die Nota für die 200 empfangenen Importen unglücklicherweise einem andern Paket beigelegt wurde, was sich erst jetzt herausgestellt habe. Man bat vielmals um Entschuldigung und fügte die Nota jetzt bei.

Herr Balduin Knipser war einer Ohnmacht nahe. „Verstehst du das?” fragte er zitternd.

Die Frau verneinte bebend.

Endlich setzte er sich hin und schrieb der Firma, daß er nichts bestellt habe. Es müsse da ein Irrtum vorliegen. Doch als der Brief fort war, fiel ihm ein, daß es ja ganz gleich sei, ob er bestellt habe oder nicht. Bezahlen müsse er ja so wie so, weil er die Ware nicht wieder zurückgeben konnte.

Und nun begann er zu rasen, denn der Spaß war doch zu kostspielig, um so mehr, wenn man nichts dafür gehabt hat, als nur Aerger und Verdruß.

Aber auch daran war nicht smehr zu ändern.

Drei Tage später kam ein zweiter Brief der Zigarrenfirma: Es läge kein Irrtum vor, hier sei die Bestellkarte.

Und richtig, es waren 200 Importen zu den notierten Preisen bestellt, unterschrieben klar und deutlich mit Balduin Knipser. Natürlich war es nicht seine Handschrift, aber das konnte ja die Firma nicht wissen.

Wer hatte sich diesen Spaß mit ihm erlaubt? Er sann, fand aber keinen, dem er so etwas zugetraut hätte. Auch an Pauline dachte er. Vielleicht hatte sie unter den Angestellten jener Firma einen Bekannten, der den Trick mit der vergessenen Rechnung ausgeführt hatte. Aber beweisen konnte er nichts. Und wenn er die Sache der Behörde übergab, machte er sich noch lächerlich dazu, denn jeder Beamte würde doch sofort sagen: „Aber so geben Sie doch die Zigarren einfach zurück.” Er mußte eben anstandslos bezahlen.

Dafür bekam er dann acht Tage später eine Ansichtskarte aus Berlin, auf der ein Mann, der lustig seine Zigarre paffte, abgebildet war. Und darunter standen die Worte: „Geiz ist die Wurzel alles Uebels!! Was du nicht willst, daß man dir tu, das füg auch keinem andern zu!”

Da biß Herr Knipser die Zähne zusammen, — jetzt ahnte er dunkel, daß doch wohl Pauline es war, aber er mußte ja schweigen, und das, das wurmte ihn am meisten.

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